Rezension: „Unsere Ozeane“ – Der Film

10. Oktober 2010 von Bettina Wurche · Keine Kommentare

Theater des Ozeans

Der französische Grandseigneur der Dokumentarfilmer Jacques Perrin und sein Kollege Jacques Cluzaud haben einen großartigen Film zu einem großartigen Thema geschaffen.
Beide sind erfahren im Umgang mit dokumentarischen Stoffen und sehr großen, visionären Projekten.

Der Filmtitel „Unsere Ozeane“ verrät dem aufmerksamen Kinobesucher bereits, dass es nicht um EINEN Ozean, sondern um DIE OZEANE geht.
Perrin lässt tatsächlich die Weltmeere mit ihrer Vielzahl von Ökosystemen an den Augen des Betrachters vorbeiziehen, mit atemberaubenden Einstellungen und pulsierend vor Leben.

Ein langer Streifzug durch die Ozeane, zwischen Oberfläche und Tiefsee, vom Nordpol bis zum Südpol, bis hinein in die Flussmündungen.

Perrin und Cluzaud haben ein „Opus magnus oceanus“ komponiert, auf dessen Bühne  die Akteure, mehr als 80 verschiedene Spezies, vor aufsehenerregenden Bühnenbildern „auftreten“.
Der Film ist abwechslungsreich in seinem Wechsel von Emotionen und Perspektiven.
Die großen feuchten Augen junger Seelöwen zielen direkt ins Herz der Zuschauer.
Die furchterregende Phalanx eines über den Meeresboden marschierenden Seespinnenheeres wirkt unheimlich und faszinierend zugleich.Und der ins ewige Blau davon schwebende Rochenschwarm lädt ein zum schwerelosen Träumen.

Zwei parallele zeitliche Erzählschienen stellen den heutigen Ozean mit seiner Verletzlichkeit neben den scheinbar unüberwindlichen und unverwundbaren Ozean der  Vergangenheit.
Die Vieldimensionalität der Ozeane haben Perrin und Cluzaud zusätzlich durch den Blick aus dem Weltall erweitert. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA ist ein Sponsor des Filmes (s. u.).

Die musische Seite des Meeres

Dieser epische Dokumentarfilm hat Zeit.
Neben der sehr langen Vorbereitungs- und Drehzeit, nimmt sich auch der Film selbst Zeit.
Natürlich gibt es schnelle Schnitte: Ein Fischkarussel dreht sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit.
Eine Gruppe Delphine, rasend schnelle Silhouetten, stößt in den Fischschwarm hinein.
Basstölpel stürzen sich aus der Luft auf einen Sardinenschwarm unter der Meeresoberfläche, die Schnäbel wie Lanzen gereckt.
Und dann gibt es wieder diese Szenen, in denen die Kamera losgelöst vom irdischen Zeitgefühl in der Strömung treibende Medusen wie ein gläsernes Ballet scheinbar in Zeitlupe geduldig verfolgt.

Meeresszenen werden theatralisch inszeniert, die Kamera wird zur Geschichtenerzählerin. Gewaltige Bilder aus dem Ozean aus ungewohnten Perspektiven werden theatralisch eingefangen und entwickeln ihre eigenen Erzählstränge.

Die ozeanische Reise wird mit einer außergewöhnlichen Geräuschkulisse unterlegt:
Die Geräusche des Ozeans und seiner Bewohner und eigens für diesen Film komponierter Musik.

Aus höchsten Höhen in tiefste Tiefen

Perrin hat sein gigantisches Filmprojekt mit Hilfe von Sponsoren umgesetzt. Sie reichen vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, über EDEKA, die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft und Weleda bis zu SeaLife. Eine beeindruckende Ansammlung von öffentlichen Einrichtungen und Firmen der Privatwirtschaft.

An dieser Stelle soll ein Sponsor und Partner von „Unsere Ozeane“ vorgestellt werden, der unmittelbar mit modernster Meeres- und Umweltforschung zusammenhängt und trotzdem vielen Menschen unbekannt ist: Die Europäische Raumfahrtagentur ESA (European Space Agency).
ESA ist ein besonders wichtiger Sponsor und Partner von Perrins Filmprojekt. Die Europäische Raumfahrtbehörde betreibt u. a. mehrere Satelliten zur Erforschung der Meere und des Klimas.
Der Start des Films war auf den Start von CryoSat-2 in Baikonur geplant, der aufgrund technischer Probleme leider auf den 08.04.2010 verschoben werden musste.Der Start am 08.04. ging dann glatt, seit 13.04. sendet CryoSat-2 die ersten Daten.Ziele der Mission sind Messungen der arktischen und antarktischen Eisbedeckung und ihrer zyklischen Veränderungen. CryoSat-2 ist Teil des umfangreichen ESA-Programms „Living Planet“.
Andere Satelliten des „Living Planet“-Programmes messen z. B. elementar wichtige Parameter wie Salinität, Magnetfeld und Meeresspiegel.

Meine ganz persönliche Meinung zum Film

Meine ganz persönliche Meinung:
Trotz der phantastischen Bilder, die durch die neu entwickelten Kameras war für mich wenig wirklich Neues dabei.
Eine ganze Reihe von Szenen waren mir aus anderen Filmen noch zu gut im Kopf:
Ein Orca jagt am chilenischen Strand Seelöwen, im Benguela-Strom wird ein Fischschwarm durch Furchenwale, Delphine, Basstölpel, größere Fische, Haie,… aufgefressen, ….
Diese Szenen waren bereits in der grandiosen BBC-Produktion  „Unser blauer Planet“   zu sehen. Der ja auch schon epochal war.

„Unsere Ozeane“ ist wenig kommentiert.
Das ist einerseits sehr gut. Viele brillante Dokumentarfilme sind durch sachlich falsche oder schlecht übersetzte Kommentare verdorben worden.
Es bleibt allerdings die Frage, ob der Film in seiner Tiefe von Laien erfasst werden kann.
Wird jemand von selbst auf die Idee kommen, nachzuschlagen?
Kann man dann überhaupt Fragen formulieren, um sie nachzuschlagen?
Geht der hohe Anspruch des Filmes durch die fehlende Unterweisung nicht verloren?
Für die meisten Zuschauer wird der Film dadurch wohl eher ein ästhetisches Schauspiel bleiben.

Statt mit Kommentaren ist „Unsere Ozeane“ mit opulenter Musik unterlegt.
Die Musik war für meinen Geschmack etwas zu pathetisch und emotional. Zumal die Verbindung zwischen „Film über Ozean“ und „Musik“ schon von Luc Besson in „Atlantis“ in großen poetischen Bildern umgesetzt wurde. Wobei Besson mit „Atlantis“ nie einen höheren didaktischen Anspruch angestrebt hatte.

Ein Dokumentarfilm mit mächtigen Bildern und einer subtilen Botschaft

Perrin zeigt in „Océans“ sein ganz persönliches Anliegen:
Die Ozeane auch seinem Sohn verständlich zu machen und für ihn zu bewahren, stellvertretend für alle Menschen der Welt und ihre Kinder.

Hoch brisante Themen, die nicht zuletzt durch die letzte Artenschutz-Konferenz in Doha wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit traten, werden eingebettet in die magischen Bilder des Meeres. Die Probleme erscheinen dadurch nicht kleiner, werden aber subtil präsentiert: Man kann die Augenweide des Films genießen und hat die Themen Überfischung, Umweltverschmutzung und Artensterben trotzdem im Blickwinkel. Ohne, dass der Filmgenuss dadurch verdorben wird.

Ein sehenswerter Film.
Zum Schwelgen und Weiterdenken.
Auch wenn schon wieder nicht die Frage beantwortet werden konnte, warum Buckelwale diesen unerklärlichen Zwang zum Hüpfen („Breaching“) haben…

Bettina Wurche

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