Im April 2010 kam es in Folge eines Blowouts auf der Bohrplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko zur schlimmsten Offshore-Öl-Katastrophe in der Geschichte der USA. Schätzungsweise 4.9 Mio barrels (780,000 m3 ) Rohöl flossen in ein Meeresgebiet mit vielfältigen Ökosystemen und großem Artenreichtum, von der Elchkoralle bis zum Pottwal.
Die folgenden Monate beherrschte die Ölkatastrophe die Schlagzeilen, zunächst überschlugen sich die Meldungen über die zahlreichen verstorbenen Tiere, darunter auch viele tot gestrandete Delphine. Dann wurde es still um die Ölpest im Golf.
Erst zu Beginn des Jahres 2011 kam die Öl-Katastrophe im Kontext mit dem Delphin-Massensterben erneut in die Schlagzeilen.
Jetzt gibt es eine offizielle Publikation dazu: “Were Multiple Stressors a ‘Perfect Storm’ for Northern Gulf of Mexico Bottlenose Dolphins (Tursiops truncatus) in 2011?” von Carmichael et al im Online-Magazin PLoS.
Der Beitrag, der in PLoS publiziert wurde, ist extrem abstrahiert und relativierend.
Lesen Sie dazu auch “„Der perfekte Sturm“ für die Delphine des Golf von Mexiko: Kritische Diskussion der Publikation”.
Zugegeben:
Auf einem toten Wal sucht man vergeblich nach einem Schild mit der Aufschrift: „Dieser Wal starb durch die Ölpest“. Öl hat multiple und schwerwiegende Folgen auf Organismen, die im Detail oft schwer nachweisbar sind. Erdöl hat viele toxische Komponenten, die auf unterschiedliche Organsysteme und den gesamten Gesundheitszustand einwirken. Das macht es für Wissenschaftler so schwierig, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Waltod und Ölpest nachzuweisen.
Und das macht es für die Öllobby so einfach.
Aber: Eine sorgfältige Auswertung aller Daten kann sehr wohl sichtbar machen, dass ein Zusammenhang zwischen „Ölpest“ und „Waltod“ äußerst wahrscheinlich ist.
Der hundertfache Delphintod im Golf von Mexiko, der über die normalen Todesfälle in einem Bestand weit hinausgeht und alle Anzeichen der Auswirkungen der toxischen Öl-Komponenten zeigt, steht sehr wohl im direkten Zusammenhang mit der Ölkatastrophe.
Die Verantwortung der Wissenschaftler
Die vorsichtigen bis vagen Formulierungen in der Publikation sind wissenschaftlich korrekt, ohne Frage. Aber sie machen es dem BP-Konzern auch sehr einfach, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Wissenschaftler müssen nach den Regeln „guter wissenschaftlicher Arbeit“ vorgehen. Dazu gehört auch, keine unhaltbaren Anschuldigungen auszusprechen.
Gleichzeitig haben Biologen, Ökologen, Tiermediziner und andere Biowissenschaftler aber auch eine Verantwortung ihren Mitgeschöpfen gegenüber. Wenn nicht sie für die Rechte der Tiere eintreten, wer sollte es dann tun?
Wollen wir Biologen dieses Feld etwa esoterischen Ökogurus überlassen?
Carmichael et al geben in ihrer Publikation die Gewichtung der Todesursachen vor:
Über den Kaltwasser-Event wird detailliert und mit zahlreichen graphischen Darstellungen berichtet. Dass Delphine normalerweise nicht an einer Abkühlung des Ozeans sterben, wird nur sehr kurz thematisiert. Auch der schlechte Gesundheitszustand der Tiere wird nur sehr kurz erwähnt.
Die Zusammenhänge zwischen dem schlechten Wal-Gesundheitszustand und den Folgen der Ölpest werden regelrecht unterschlagen.
Relativierende Sprache
Das Manuskript ist so geschrieben, wie Politiker eine Katastrophe darstellen: Mit viel Understatement, Verharmlosung und Relativierung. Und reichlich Daten und graphischen Darstellungen, die vom zentralen Punkt ablenken. In diesem Fall lenkt das kalte Wasser von der Ölpest ab. Das Wort “Ölpest“ oder andere Öllobby-unfreundliche Termini fehlen im Manuskript ganz. Stattdessen wird die Katastrophe in das Mäntelchen einer technokratischen Abkürzung gehüllt, was sich sehr viel weniger schlimm anhört: „DWHOS“ statt Oilspill. Abkürzungen wirken professionell, abstrahierend und sehr sachlich.
Auch der Einsatz vieler Statistiken kann unliebsame Fakten verschleiern:
Durch Statistiken werden Leser/Hörer mit Zahlen und Daten überschüttet, die sachlich und korrekt sind. Die meisten Menschen sind dann mit der Datenverarbeitung so beschäftigt, dass sie nicht merken, dass wesentliche Fakten fehlen oder nicht in die Schlussfolgerungen einbezogen werden.
Das Resultat „Our data suggest, cold temperature were not the sole cause of death […]“ (S. 11) ist ein verbaler Eiertanz.
Ich vermisse die Schlussfolgerung:
„Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte es ohne die Deepwater Horizon-Ölpest diese extrem erhöhte Sterblichkeit in 2011 nicht gegeben.“
Die Daten hätten diese Schlussfolgerung gerechtfertigt.
So hingegen bekommt der kundige Leser, die kundige Leserin das unangenehme Gefühl, dass BP und die Öllobby geschont werden sollen. Schließlich zahlen die Öl-Unternehmen viele Steuern, aus denen auch Wissenschaftler und ihre Forschung bezahlt werden.
Die vorliegende Veröffentlichung tendiert statt zum “guten wissenschaftlichen Arbeiten“ schon hart in Richtung „Gefälligkeitsgutachten“.
Sollte die Unabhängigkeit der Wissenschaft nur noch ein schöner Traum sein?
Für ehrenamtlich arbeitende Idealisten?
Dann bleibt es wohl in der Verantwortung der kleinen Umweltschutzorganisationen und der Science Blogger, die Interessen der Wale zu vertreten.
Ich blogge jedenfalls weiter – für Wale, Ozeane und Meeresschutz.
Bettina Wurche