„Der perfekte Sturm“ für die Delphine des Golf von Mexiko: Kritische Diskussion der Publikation

30. Juli 2012 von Bettina Wurche · Keine Kommentare

Die Publikation “Were Multiple Stressors a ‘Perfect Storm’ for Northern Gulf of Mexico Bottlenose Dolphins (Tursiops truncatus) in 2011?” von Carmichael et al im Online-Magazin PLoS untersucht das Delphin-Massensterben von 2011.

Massensterben von Walen kamen und kommen immer wieder vor.
Die Gründe dafür sind vielfältig und oft schwierig zu analysieren, es gibt natürliche und anthropogen (durch menschliche Einwirkung erfolgte) Todesursachen. Im Golf von Mexiko etwa sind zuletzt 2004 durch eine Giftalgenblüte („red tide“) mehr als 100 Große Tümmler und viele andere Meerestiere gestorben.Eine hohe Sterblichkeit zur Zeit des Gebärens ist ebenfalls natürlich: Der Zeitpunkt der Geburt ist für Walmütter und -kälber sensibel, in jeder Population kommt es in diesem Zeitraum zu einer erhöhten Sterblichkeit.
Aber dieses Mal ist die Zahl der toten Delphinkälber extrem hoch.

Nur durch langjährige Studien und interdisziplinäre Untersuchungen können die Ursachen solcher Massensterben erkannt werden. Für die Auswertung der Datensätze ist viel Erfahrung nötig. Im vorliegenden Fall ist eine Delphin-Population betroffen, die bereits seit Jahrzehnten intensiv wissenschaftlich untersucht wird und über deren Lebensraum sehr viel bekannt ist. Damit besteht hier eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, die Ursachen der Wal-Katastrophe herauszufinden.

Die Publikation “Were Multiple Stressors a ‘Perfect Storm’ for Northern Gulf of Mexico Bottlenose Dolphins (Tursiops truncatus) in 2011?” enthält allerdings einige fragwürdige Schlussfolgerungen, die im Folgenden diskutiert werden.

Wie wirkt das Erdöl auf marine Säugetiere?

Carmichael et al schreiben auf S. 9: „The sublethal effects of direct oil exposure on dolphins have not been well documented […] and while perinatal and infant mortality has been associated with exposure to oil and other organic pollutants in some marine mammals, it has not been reported among dolphins.” Für konkrete Schlussfolgerungen sei weitere Forschung notwendig.

Kurz- und langfristige Auswirkungen von Öl auf marine Säugetiere sind sehr wohl beschrieben worden, z. B. nach der Exxon Valdez-Ölpest in Alaska (Matkin, C.O., Saulitis, E.L., Ellis, G.M., Olesiuk, P., Rice, S.D. 2008. Ongoing population-level impacts on killer whales Orcinus orca following the ‘Exxon Valdez’ oil spill in Prince William Sound, Alaska. Marine Ecology Progress Series, 356:269-281. [PDF file]).
Orcas sind große Delphine, die Beobachtungen können definitiv auf die Großen Tümmler im Golf von Mexiko angewendet werden.
Bei dieser Langzeit-Untersuchung ist u. a. auch explizit die verringerte Fruchtbarkeit als Folge des Öls benannt worden.

Toxikologische Untersuchungen haben immer wieder ergeben, dass aromatische Bestandteile des Erdöls bei Säugern u. a. Tieren Frucht schädigend sind. Diese Untersuchungen lassen ohne Zweifel die Schlussfolgerung zu, dass diese toxischen Substanzen auch bei Delphinen Frucht schädigend sind.
Die vielen toxischen Komponenten von Erdöl haben umfangreiche pathogene Auswirkungen auf Lebewesen. Meeressäuger sind der Ölpest im Wasser sogar noch stärker ausgesetzt, denn sie nehmen die giftigen Bestandteile des Öls über die Haut, die Nahrung und beim Einatmen direkt auf und können sich dem nicht entziehen.
Die Veterinäre der UC Davis School of Medicine hatten zu Beginn der Deepwater Horizon-Ölpest eine ausgezeichnete Übersicht zusammengetragen, welche Auswirkungen das Öl auf marine Säuger hat.
Lesen Sie dazu auch den meertext-Beitrag: “Wie schadet Öl den Meerestieren?”

Dazu gehören u. a.

  • Anämie
  • Unterernährung
  • Leber- und Lungenschäden
  • ein insgesamt geschwächtes Immunsystem

Alle diese Symptome werden auch in dem Gesundheitscheck der Golf-Delphine angegeben und von Carmichael et al zitiert.

Die erwarteten und beschriebenen Symptome sind deckungsgleich!
Carmichaels Schlussfolgerung, die Gesundheitsprobleme der Delphine könnten eine Folge der Ölpest sein, dies sei aber wissenschaftlich nicht nachweisbar, dafür müsse weitere Forschung betrieben werden, ist darum nicht nachvollziehbar.

Alle Hinweise führen zur Deepwater Horizon-Ölpest

Einerseits ist ein direkter Nachweis der Todesursache bei einem verendeten Wal sehr schwierig.
Eindeutige Todesursachen wie Netzmarken oder Schusswunden sind selten. Meistens haben die Tiere vielfältige Erkrankungen, die nur von Fachleuten in einem größeren Kontext interpretiert werden können. Außerdem sind die toten Tiere oft schon stark verwest.
Auch Ölspuren an den Tierkörpern sind direkte Hinweise auf die Ursache. Im Fall der Deepwater Horizon-Ölpest hatte BP aber gefordert, dass die Ölspuren auch noch chemisch analysiert werden müssten, um das Öl definitiv ihrer explodierten Bohrinsel zuordnen zu können. Als ob ernsthaft verschiedene Verursacher in Frage gekommen wären…Hat es denn in diesem Zeitraum im Nördlichen Golf von Mexiko noch andere havarierte Bohrplattformen oder gesunkene Öltanker gegeben?

Es gibt keinen einzigen Hinweis, dass eine kurzzeitige Abkühlung der Meerestemperatur jemals zu einem  Delphinsterben geführt hat. Normalerweise sind die Tiere durch ihre dicke Blubberschicht ausreichend geschützt,  schwimmen in eine andere Regionen oder gleichen die Abkühlung durch ihren Stoffwechsel aus. Nur auf Tiere, die bereits durch Krankheiten und Unterernährung stark geschwächt waren, konnte das kalte Wasser derartig verheerende Folgen haben.
Die Schlussfolgerung, dass der schlechte Gesundheitszustand der Tiere eine Folge der Ölpest war und es ohne die Ölpest 2011 kein weiteres Massensterben gegeben hätte, formulieren Carmichael et al nur sehr vage und eher versteckt. Die Gewichtung liegt nachdrücklich auf dem Kaltwasser-Event, der äußerst ausführlich dargestellt wird.
Die kalten Wassertemperaturen waren aber nur noch der letzte Todesstoß für die kleinen Wale. Die Publikation relativiert und verharmlost die Folgen der größten Ölpest in US-Gewässern auf die Delphine.

Bettina Wurche


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