Zu Beginn des Jahres 2011 strandeten an der Küste des Golfs von Mexiko ungewöhnlich viele tote Delphine: Zwischen Januar und April 2011 waren es 186 Große Tümmler (Tursiops truncatus), davon waren 86 perinatale Kälber („Perinatal“ ist der Zeitpunkt um den Geburtstermin herum.)
Jetzt kommt eine erste wissenschaftliche Aufarbeitung: “Were Multiple Stressors a ‘Perfect Storm’ for Northern Gulf of Mexico Bottlenose Dolphins (Tursiops truncatus) in 2011?” von Carmichael et al im Online-Wissenschaftsmagazin PLoS. („Waren multiple Stress-Faktoren der „Perfekte Sturm“ für Großen Tümmler des Nördlichen Golf von Mexiko?“)
Die Untersuchungen beziehen sich auf die Totfunde an den Küsten der US-Bundesstaaten Alabama, Florida, Louisiana und Mississippi.
Der Titel „Perfect Storm“ bezieht sich auf den gleichnamigen Roman von Sebastian Junger, in dem durch die Verkettung vieler unglücklicher Umstände letztendlich ein gewaltiger Sturm zum Untergang des Schwertfischfängers „Andrea Gail“ führt.
Die Strandungsrate von 186 Delphinen in vier Monaten ist signifikant höher als normal. Normalerweise werden durchschnittlich 74 tote Delphine jährlich angespült. Ebenfalls ungewöhnlich ist der extrem hohe Anteil perinataler Kälber. Perinatal ist der Zeitpunkt nahe um den natürlichen Geburtstermin, bei Großen Tümmlern wird er durch die Länge von 115 cm definiert. Diese Tiere sind entweder Neugeborene oder voll entwickelte Totgeborene.
Die Autoren benennen drei verschiedene Ursachen, die als Gründe für die sehr hohe Delphinsterblichkeit 2011 in Frage kommen:
- Die außergewöhnlich niedrigen Wassertemperaturen
- Einen erhöhten Süßwasserzustrom wegen der starken Schneeschmelze
- DWHOS (Deepwater Horizon MC 252 oil spill) in 2010
Die niedrigen Wassertemperaturen und der erhöhte Süßwasserzustrom fielen regional und zeitlich in den Zeitraum der erhöhten Delphinsterblichkeit und werden als direkte mögliche Stressfaktoren diskutiert.
Ozeanographen hatten dazu umfassendes Datenmaterial geliefert, das Carmichael et al ausführlich und mit zahlreichen graphischen Darstellungen in einen engen Kontext mit dem Delphinsterben setzen.
Erst auf Seite 9 steht dann in wenigen Worten, dass Delphine in guter körperlicher Verfassung derartige Abkühlungen des Umgebungswassers gut vertragen können. Zurzeit gibt es nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass jemals Delphine an niedrigen Wassertemperaturen gestorben sind.
Die Delphine im Golf von Mexiko sind aber in keiner guten körperlichen Verfassung. Ein Gesundheitscheck unter 50 der dort ansässigen Delphine ergab, dass die Tiere gesundheitlich in schlechtem Zustand waren. Demnach litten mehr als die Hälfte der untersuchten Großen Tümmler an
- Anämie
- Unterernährung
- Leber- und Lungenschäden
- einem insgesamt geschwächten Immunsystem
Carmichael et al weisen an dieser Stelle darauf hin, dass diese Symptome eventuell Spätfolgen des DWHOS sein könnten, dies aber nicht mit Sicherheit nachweisbar sei.
Die Schlussfolgerung lautet, dass die niedrigen Wassertemperaturen die wesentliche, wenn auch vielleicht nicht einzige Ursache des Delphinmassensterbens mit dem sehr hohen Anteil von Neugeborenen 2011 sei.
Insgesamt sei weitere Forschung nötig.
Bettina Wurche