Die toten Delphine von Peru – Todesursache ungeklärt

22. Juni 2012 von Bettina Wurche · Keine Kommentare

Das Massensterben der Meerestiere hat mich verfolgt.
Fast 1000 Delphine tot durch akustisches Trauma?
Mein Thema!
Ich sammelte die wenigen Informationsbrocken, die ich fand. Unbefriedigend.

Im April stieß ich auf der marmam-mailing-Liste auf eine mail einer englischen Kollegin, die um alle vorhandenen Informationen bat. Ich schickte ihr meine Bruchstücke zu, sie sammelte weiter und gab mir kurze Zeit später einen Abschlußbericht.

Der Tod der 877 Delphine und fast 3000 Pelikane ist eine üble Angelegenheit.
Die Untersuchung der Ursachen ist ein Lehrstück von Schlamperei und Unprofessionalität, das mich fassungslos macht.
Und wütend.
Diese Informationen müssen in die Öffentlichkeit.
Darum habe ich diesen – sehr langen – Blogeintrag geschrieben.
Und hinterher noch einen Kommentar:
Doch lesen Sie selbst…

Was ist vor der Küste Perus passiert?

Zwischen Anfang Februar und den ersten 2 Aprilwochen 2012 wurden 877 tote Delphine über einen 100 Meilen langen Abschnitt zwischen Piura und Lambayeque, 500 Meilen nördlich von Lima,  an der Küste Perus angeschwemmt. Die toten Delphine waren zu 97% Langschnäuzige Gemeine Delphine (Delphinus capensis), eine von 6 regionalen Delphin-Arten.

Wenig später waren, etwas weiter nördlich, auch noch 4000 tote Pelikane angespült worden.
Der TheGuardian-Artikel „Peru’s mysterious dolphin and pelican deaths – in pictures“ zeigt die erschreckenden Bilder des tausendfachen Tiertods.

Nach Angaben örtlicher Fischer in einem BBC-Beitrag von Margarita Rodriguez leben die Delphine weiter entfernt von der Küste im offenen Meer, an der Küste sind sie nur sehr selten zu sehen.
Fischerei-Experten berichteten außerdem, dass das Oberflächenwasser in diesem Jahr mehr als 10 F wärmer war als sonst. Die großen Anchovetta-Schwärme (Peruanische Anchovis) hätten sich deshalb in tiefere Wasserschichten zurückgezogen. Dadurch waren sie außerhalb der Reichweite der tauchend fischenden Pelikane. Die Pelikane sollen dadurch verhungert sein. Neben Pelikanen waren auch andere im Meer jagende Vögel wie Kormorane betroffen, allerdings in weit geringerem Ausmaß.

Tod durch akustischen Schock?

Das in Houston, USA, ansässige Unternehmen BPZ Energy hatte, nach Firmenangaben, zwischen dem 07. Februar und dem 08. April 2012 eine akustische seismische Erkundung durchgeführt. Die Geräte seien zwischen dem 31.Januar und dem 07. Februar 80 Meilen (80 to 130 Kilometer) vor der Küste getestet und die Instrumente kalibriert worden. Bei dieser seismischen Erkundung hatte die BPZ zur Erkundung unterseeischer Ölvorkommen die dabei üblichen Unterwasser-Explosionen eingesetzt.

Extrem laute Geräusche können bei Walen ein akustisches Trauma hervorgerufen, bei ihrer Flucht vor der Lärmursache tauchen Wale dann sehr schnell auf, es kann im Körpergewebe zu Gas-Embolien kommen, die zum qualvollen Tod der Tiere führen können. In den vergangenen Jahren hatte es wiederholt durch Sonareinsätze der Marine Dutzende von Todesfällen unter Walen gegeben. Dabei waren vor allem die tief tauchenden Schnabelwal-Spezies schwer getroffen worden.

(Lesen Sie dazu die meertext-Beiträge
„Schnabelwalstrandungen durch Sonar (1)?“
„Schnabelwalstrandungen durch Sonar (2)?“
)

Die Umweltschützer waren sensibilisiert: Die Umweltschutzorganisation ORCA erhob schnell Anschuldigungen gegenüber der Erdölindustrie: Die Tiere sollten durch den seismischen Survey der Öl-Explorationsfirma gestorben sein. Carlos Yaipen-Llanos von ORCA, die einen Schwerpunkt auf dem Wal- und Delphinschutz hat, sagte, dass einige der Delphine zerbrochene Gehörknochen hätten, was auf ein akustisches Trauma hindeuten würde.
Damit wären die fast 900 Delphine durch von Menschen verursachte Schallwellen getötet worden.
Ein schwerer Vorwurf.

Tod durch natürliche Ursachen?

Der peruanische Umweltminister (Peru’s Deputy Environment Minister) Gabriel Quijandria widersprach umgehend und vehement und führte als Gründe für das Massensterben der kleinen Wale giftige Algen, ungewöhnliche ozeanographische Bedingungen und Krankheiten wie Morbillivirus an.

Auf den öffentlichen Druck durch die internationale Berichterstattung hin machten sich Mitte April dann auch die peruanischen Behörden an die Probennahme und Untersuchung der toten Meeressäuger.
Die Analysen wurden durchgeführt in den Labors der Peruvian Ocean Institute (IMARPE); the Fisheries Technology Institute of Peru (ITP); The Center for Information, Toxicological Control and Support for Environmental Management (CICOTOX) of the Faculty of Pharmacy and Biochemistry of the Major National University of San Marcos (UNMSM); the Faculty of Veterinary Medicine and Husbandry of the Cayetano Heredia Peruvian University (UPCH) und dem privaten Veterinär-Labor VetDiagnostics.

Die offiziellen Stellen in Peru führten umfangreiche ozeanographische Daten an, um die Behauptung zu untermauern, dass im entsprechenden Zeitraum sehr ungewöhnliche ökologische Bedingungen in dem entsprechenden Seegebiet herrschten. Weiterhin zählten sie wieder andere natürliche Todesursachen wie Giftalgenblüten oder Virusinfektionen auf.

Die toten Delphine von Peru – mehr Fragen als Antworten

Tatsächlich sprechen die Fakten gegen das Massensterben durch ein akustisches Trauma:
Die ersten Delphin-Kadaver sollen bereits vor dem Beginn des akustischen Surveys angespült worden seien.
Weiterhin deuten die zerbrochenen Gehörknochen nicht automatisch auf ein akustisches Trauma hin, sondern sind nach den Erfahrungen nordamerikanischer und europäischer Wal-Experten ein natürliches Resultat des Verwesungsprozesses. Verletzungen im Ohr-Bereich können nur bis etwa 2 Stunden nach dem Tod des Tieres sicher nachgewiesen werden. Die angespülten Delphine befanden sich aber in einem fortgeschrittenen Verwesungsprozess, wie die Bilder deutlich zeigen.

Aus dem gleichen Grund ist auch ein histologischer Nachweis für durch Gasembolien verletzte Gewebe nicht mehr möglich gewesen. Die Gewebe waren zu stark verwest.

Der Blogeintrag “What is Peru’s dolphin and pelican die-off telling us?” auf Deep-Sea News weist darauf hin, dass es für den Tod von 900 Delphinen und 4000 Pelikanen nicht zwangsläufig eine einzige Ursache geben muss, es könnten auch mehrere unglückliche Umstände zusammen gekommen sein. Der Interviewpartner, Dr. Greg Bossart ist Chief Veterinary Officer und Senior Vice President des Georgia Aquariums und sicherlich ein kompetenter und erfahrener Wal-Spezialist.
Eine monokausale Erklärung wäre natürlich einfach, aber Biologie ist meistens nicht so einfach. Multikausale Erklärungen sind wesentlich komplexer und schwieriger nachzuweisen. Durch eine Verkettung mehrerer Ursachen lassen sich Todesursachen bei marinen Säugetieren oft nur sehr schwierig nachweisen.
Dies ist einer der wenigen Beiträge zum Thema, der echte Sachkenntnis zeigt.

Massentod durch Morbillivirus?

Die wahrscheinlichste Erklärung dürfte nach Ansicht mehrerer Wal-Experten eine massive Morbillivirus-Infektion innerhalb einer regionalen Delphingruppe gewesen sein.
Das würde u. a. erklären, warum nur eine Spezies – der Langschnäuzige Gemeine Delphin – betroffen war. Dieser Virus ist zwar schon bei verschiedenen Wal-Arten nachgewiesen worden, aber nicht bei allen.

Und es ist schon häufiger vorgekommen, dass es bei einer Art zu einem Massensterben führte, während andere Arten im gleichen Lebensraum keine gesundheitlichen Probleme zeigten.

Der Abschlußbericht von IMARPE (Peruvian Ocean Institute) fasst zusammen: “Seems like this may be a lost case. Getting to the bottom of the cause of death is VERY hard right now because the bottom line is that sample collection, manipulation and analyses have not followed adequate (trustworthy) protocols. Experts cannot draw final conclusions because of lack of information”.

Aus den vorliegenden Fakten und Vorgehensweisen können seriöse Wissenschaftler und Walschützer leider nur einen Schluss ziehen:
“So unfortunately we not be able to get to the bottom of what caused this mortality event, however I remain sceptical that it was due to seismic operations in the area, not least because those operations did not start until after the first dolphins began washing up!” kommentierte eine Mitarbeiterin von Marine Mammal Research Unit, Fisheries Centre, University of British Columbia.

Ein hartes Urteil.
Aber leider zutreffend.

Bettina Wurche

 

Quellenangaben:
Neben den angegebenen Quellen sind die Quellen der IMARPE-Abschlußbericht (in Spanisch), eine Zusammenfassung in Englisch, inoffizielle Schriftwechsel und mündliche Aussagen verschiedener Wal-Experten deutscher, englischer und nordamerikanischer Forschungsinstitute.

 

Tags: Meeresschutz · Ozean · Wale · Zoologie