Sammlungswelten – Anatomie für Neugierige und Connaisseure

27. November 2011 von Bettina Wurche · Keine Kommentare

Eine Ausstellung von anatomischen Feuchtpräparaten und Gewebeschnitten (Histologischen Schnitten) über Konservierungmethoden und Anatomie ist eine Rarität in den naturkundlichen Museen.
Feuchtpräparate – also in konservierende Flüssigkeiten eingelegte Tiere und Pflanzen – sind zwar ein großer und wichtiger Teil jeder wissenschaftlichen naturkundlichen Sammlung, fristen aber normalerweise ein Aschenputteldasein, verborgen vor den Blicken der Öffentlichkeit.

In diesem Jahr bekam ich durch meine Mitarbeit an der Anatomie-Ausstellung “Sammlungswelten“ im Senckenberg-Museum mal wieder die Gelegenheit, in diesen Feuchtpräparate-Sammlungen zu stöbern, die spannenden Geschichten hinter den Objekten herauszufinden und in einer Ausstellung zu verarbeiten.

Gestern, am 24.11. ist die kleine, aber feine Ausstellung eröffnet worden – und ich finde nun endlich die Zeit, dazu ein paar Blogbeiträge zu schreiben.
Denn Geschichten gibt es genug zu erzählen…Jedes einzelne Präparat ist ein Unikat!

Die Frankfurter Rundschau hat zur Eröffnung den sehr lesenswerten Beitrag “Ausstellung im Senckenberg: Glieder im Glas” gebracht, neben gutem Text und schönen Bildern mit einem Interview mit mir.

Die Präparate in ihren gläsernen Behältnissen werden im Mobiliar einer alten Apotheke präsentiert, dadurch erinnert die Ausstellung an die alten Wunderkammern und Raritätenkabinette.

 Wunderkammern – zum Staunen und Angeben

In den Wunderkammern vergangener Jahrhunderte wurden die Anfänge der heutigen Museen gelegt: naturkundliche, völkerkundliche, archäologische und sonstwie interessante oder kostbare Objekte und Artefakte wurden ziellos gesammelt und ausgestellt: Mumien neben ausgestopften Krokodilen, Mineralien neben Narwalzähnen, exotische Skulpturen neben kostbarem Schmuck.
Sie zeigten ungewöhnliche Dinge, die Kuriosiät blieb Selbstzweck und sollte den Ruhm des Besitzers steigern: Wer Kuriosiäten sammelte, mußte reich und weltgewandt sein. Fürsten, wohlhabende Gelehrte und reiche Angeber schmückten sich mit den exotischen Kuriositäten.

Im 19. Jahrhundert begann der Aufstieg der heutigen Wissenschaftszweige und das systematische wissenschaftliche Arbeiten (s. auch „Jules Verne und die Entdeckung der Meeresforschung“) . Aus den unsortierten “Ansammlungen“ der Wunderkammern wurden allmählich wissenschaftliche Sammlungen, die systematisch gesammelt und erforscht wurden – echte Sammlungen im heutigen Sinn.

Moderne Museen unterscheiden deutlich zwischen wissenschaftlichen und Schausammlungen. Die Aufgaben eines modernen Museums sind: Sammeln-Forschen-Bewahren-Vermitteln.

Wie funktioniert eine Wissenschaftliche Sammlung?

Jedes Objekt wird katalogisiert: Bezeichnung, Herkunft, Sammler/Vorbesitzer und viele andere Informationen werden sorgfältig aufgenommen. Die Präparate einer wissenschaftlichen Sammlung werden heute nicht mehr in den Sammlungsbüchern – dicken Folianten – geführt, sondern digital erfaßt. Dadurch sind wissenschaftliche Sammlungen weltweit abrufbar für andere Wissenschaftler.
Die Sammlungsbestände sind sorgfältig sortiert: nach der systematischen Ordnung der Tiergruppen (Löwen und Tiger nebeneinander, weit weg davon Korallen und Bärtierchen) und nach ihrer Aufbewahrungsform. Knochen, Feuchtpräparate und Felle haben natürlich unterschiedliche Anforderungen für die sachgerechte Lagerung. Also: Löwen- und Tigerfell in der mottensicheren Fellkammer, Löwen- und Tigerschädel an anderem Ort und Löwenherzen und Tigerlebern im speziell belüfteten Alkoholtrakt.

Diese Sammlungen müssen regelmäßig betreut werden: Vom Nachfüllen von Alkohol bis zur Überprüfung auf Schädlingsbefall. Pelzkäfer in der Säugetiersammlung schrecken einen Museumsmitarbeiter mehr als Motten im Lieblings-Kaschmir-Pullover!
Diese Sammlungen sind die Archive der Natur und der Schatz der Museen. Wissenschaftler greifen für ihre Forschungen auf diese Archive zurück: Entweder gehen die Präparate auf Reisen oder der Wissenschaftler kommt vorbei. So werden auch alte Stücke immer mal wieder unter neuen Gesichtspunkten bearbeitet und ihre Eigenschaften und Erkenntnisse publiziert.
Besucher haben in der Regel keinen Zutritt.
Wissenschaftliche Sammlungen sind Orte der Stille … und des Staubs.

 Schausammlungen

Eine Schausammlung ist das Schaufenster der Wissenschaft für die Öffentlichkeit.
Hier werden meist selbst erklärende Eyecatcher ausgestellt: Um zu erkennen, wo bei einem Elefantenskelett vorn und hinten ist, muss niemand Zoologie studiert haben.

Skelette und Dermoplastiken (früher nannte man das „ausgestopft“) stehen in Reih und Glied, dazwischen räkeln sich Modelle, manchmal gibt es sogar noch lehrreich gemeinte Informationen über Texttafeln oder Monitore. Ein anständiges Schau-Präparat ist möglichst vollständig und ordentlich beschriftet.
In den Schausammlungen sind große und spektakuläre Objekte überrepräsentiert, die kleinen scheinbar unscheinbaren sucht man oft vergeblich. Wie könnte auch ein in Alkohol eingelegtes Bärtierchen neben einem
T. rex-Skelett bestehen? Die meisten Leute würde es glatt übersehen, denn bei aller Anstrengung kann es sein Maul bei Weitem nicht so weit wie Gevatter Dinosaurus aufreißen. Erst der Blick durch ein Mikroskop würde die Knuffigkeit dieses kleinen Wesens zeigen: Bärtierchen sehen aus wie Gummibärchen mit einem Beinpaar zu viel. Dabei sind die zarten Organismen hart im Nehmen und z. B. sehr erfolgreiche Astronauten.

Auch die inneren Organe von Tieren sind in Schausammlungen selten zu sehen: Das blanke Skelett eines Tieres ist sauber und pflegeleicht. Seine Organsysteme hingegen sind durch die Konservierungsflüssigkeiten oft grau-rosa verfärbt und scheinen für viele Besucher weniger ästhetisch zu sein.
Dabei können diese Präparate wunderbare Geschichten erzählen…

In der kleinen feinen Anatomie-Ausstellung „Sammlungswelten – konserviert für die Ewigkeit“ sind nun über 300 sorgfältig ausgewählte Feucht-Präparate von Wirbeltieren aus den wissenschaftlichen Sammlungen für die neugierigen Augen des Publikums aus ihrem Donröschenschlaf erweckt worden – eine Ausstellung für Neugierige und Anatomie-Conaisseure!

Bettina Wurche

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tags: Anatomie · Ausstellung · Museum