Historischer Roman
Im Zeichen des Ammoniten
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebt in dem südenglischen Küstenort Lyme Regis die später als erfolgreiche Fossiliensammlerin berühmte Mary Anning. Sie ist das Kind einer armen Familie, überlebt einen Blitzschlag in frühester Kindheit und lernt das Sammeln von Kuriositäten, wie die Ammoniten und andere Fossilien genannt werden, von ihrem Vater.
Elizabeth Philpot, eine gebildete junge Frau aus gehobenen Kreisen, wird nach der Heirat ihres Bruders gemeinsam mit den ebenfalls unverheirateten beiden Schwestern aus London nach Lyme Regis abgeschoben. Die intellektuell ausgehungerte Elizabeth sucht in dem Küstenort nach einer sinnvollen Beschäftigung und “entdeckt” dabei die Fossilien an den Stränden und Steilküsten für sich.
Das ungebildete Kind mit dem sicheren Blick für Fossilien und die gebildete junge Frau gehen, zur Empörung ihrer Familien und der Dorfbewohner, ihrer Passion bald gemeinsam nach. Dass Frauen einer so schmutzigen Tätigkeit in unwegsamen Gelände, noch dazu ohne männliche Beistand, nachgehen, gehört sich nicht.
Zwischen den beiden Außenseiterinnen des Ortes entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft über die herrschenden Standesgrenzen hinweg.
Mary trägt mit dem Sammeln und Verkaufen der “Kuriosiäten” zum Unterhalt der Familie bei, Elizabeth entwickelt ein akademisches Interesse am Sammeln, Beschriften und Bestimmen der Fossilien. Ihr Interesse geht weit über Neugierde an Kuriositäten hinaus, sie weiß schnell, dass die seltsamen Steine Versteinerungen heute nicht mehr lebender Tiere sind und trägt systematisch Informationen darüber zusammen. Sie wird die Expertin für die versteinerten Fische dieser Gesteine.
Immer wieder kommen gelehrte Herren an die Küste und lassen sich von Mary Fossilien suchen, dadurch beginnt der Austausch mit den Repräsentanten der noch jungen Wissenschaften der Geologie und Paläontologie. Mit dem Sammeln, Präparieren und Verkaufen trägt sie nach dem Tod ihres Vaters zum Familieneinkommen bei.
Vom “Schlangenstein” zum “Krok”
Marys Fund eines “Krok” ist der Höhepunkt des Romans: ein großes versteinertes Tier, das sie aufgrund der Größe und der spitzen Zähne als Krokodil identifiziert. Das Mädchen hat, ohne es zu wissen, den ersten Ichthyosaurier, eine Fischechse, entdeckt. Auf einmal steht sie im Mittelpunkt des Interesses: Viele Männer, reiche Gutsherren der Region und renommierte Wissenschaftler aus England und sogar vom Kontinent, wollen die neu entdeckte Echse sehen, kaufen oder untersuchen. Elizabeth versucht das Mädchen vor Übervorteilung zu schützen und macht sich gleichzeitig daran, das rätselhafte Tier zu identifizieren. Denn für sie steht fest: Das Fossil kann kein Krokodil sein. Sie vertieft sich in die wenige wissenschaftliche Literatur der Zeit, diskutiert und korrespondiert mit dem Geologen Buckland und anderen Wissenschaftlern und schützt Mary schließlich vor der Verleumdung durch den berühmten Anatomen Baron Cuvier, der die Echse zunächst als Fälschung bezeichnet. Mit großem Einsatz kann sie die Demontage von Marys Ruf und Verdienst verhindern, statt dessen wird der Fund auf einer Sitzung der Royal Academy anerkannt als eine bislang unbekannte fossile Echse und wissenschaftliche Sensation. Mißverständnisse und ein Mann, für den sich beide Frauen interessieren, führen zum Bruch zwischen den beiden Fossilienfreundinnen.
Erst Jahre später nähern sich die beiden Frauen wieder an und sammeln gemeinsam Fossilien, bis Mary mit nur 47 Jahren stirbt. Elizabeth beschäftigt sich bis zu ihrem Tod, Jahrzehnte später, mit Fossilien und trägt eine berühmte Sammlung zusammen.
Ihre tiefe Freundschaft und Leidenschaft für Fossilien war stärker als alle Verletzungen.
Würdiges literarisches Denkmal für die Fossilien-Pionierinnen
Im Wechsel erzählen die eloquente und intelligent reflektierende Elizabeth und die deutlich einfacher sprechende Mary von ihrer Suche nach Fossilien, ihren Begegnungen mit anderen Menschen und ihren Gedanken.
Vor der beschaulichen Kulisse der südenglischen Küste werden auf mehreren Ebenen Konflikte ausgetragen:
Persönliche Konflikte wie Neid und Mißgunst von Fossiliensammlern und Dorfbewohnern gegenüber den erfolgreich Fossilien sammelnden Frauen. Aufkeimende Liebe, Eifersucht und Rivalität, die die besondere Freundschaft der beiden Frauen überschattet.
Die Erkenntnisse der gerade entstehenden Wissenschaften Geologie, Paläontologie und der Evolutionslehre stehen im Konflikt mit der Meinung der Kirche, die das Aussterben von Lebensformen nicht zu akzeptieren bereit ist.
Der erdrückende Chauvinismus der Männer, vor allem der Wissenschaftler, die ohne Mary gar keine Fossilien gefunden hätten, Elizabeths Aufbegehren dagegen und ihre Frustration ziehen sich durch die gesamte Erzählung.
Die Frühzeit des Fossiliensammelns, der Paläontologie und Geologie, der vergleichenden Anatomie und Evolutionslehre mit all ihren Fallstricken wird mit lebendigen Charakteren dargestellt. Die Nebenfiguren Buckland, Darwin und Cuvier sind heute in jedem Geologie- und Paläontologielehrbuch zu finden.
Die Hauptfiguren Mary Anning und Elizabeth Philpot haben auch wirklich gelebt. Aber ihre Namen sind heute nur wenigen Menschen bekannt, da ihre außerordentlichen Leistungen für die Wissenschaft als Frauen und in ihrer Zeit nie anerkannt wurden.
Tracy Chevalier hat diesen beiden Frauen, den Fossil-Pionierinnen der ersten Stunde, ein würdiges Denkmal gesetzt.
Ein sehr lesenswerter Roman für LiebhaberInnen des historischen Genres.
Ein extrem empfehlenswertes Buch für alle FossilienliebhaberInnen: schließlich geht es ebenfalls um FossilienliebhaberInnen.
Das Cover zeigt einen pyritisierten Ammoniten, der mich auf das Buch aufmerksam machte.
Einziges Manko:
Die grottige Übersetzung des Titels in der deutschen Ausgabe: Aus “Remarkable Creatures” wurde “Zwei bemerkenswerte Frauen”.
Damit ist das Wortspiel des Titels, dass sowohl die Frauen als auch die Fossilien bemerkenswert seien, im Deutschen leider nicht erhalten geblieben.
Bettina Wurche
1 Antwort bis jetzt ↓
1 Ammoniten – uralt und topaktuell // Feb 1, 2011 at 15:05
[...] als Kind Ammoniten sammelte und später die ersten Fisch- und Flugsaurier-Fossilien entdeckte. Der Roman „Zwei bemerkenswerte Frauen“ von Tracy Chevalier setzt ihr und ihrer Kollegin Elizabeth Philpott ein literarisches [...]