Mehr als 40 Kilometer vom Festland entfernt liegt Deutschlands einzige Hochsee-Insel: Helgoland.
Helgoland ist der kleine Rest einer ehemals viel größeren Landmasse und besteht aus Buntsandstein, Kreide und Jura-Gesteinen. Die einzige Felsküste mit Felswatt in der deutschen Nordsee– ein einmaliger Lebensraum für viele Tierarten, die in Deutschland sonst nicht oder nur sehr selten vorkommen.
In den steinigen Tiefen des Meeres vor der felsigen Insel liegt ein idealer Lebensraum für Hummer. Die gewaltigen Krebse können bis 64 Zentimeter lang und bis 6 Kilogramm schwer werden, durch ihre Scheren sind sie sehr wehrhaft. Wenn sie groß sind.
Bis dahin müssen sie aber erst einmal durchhalten und versuchen, nicht gefressen zu werden.
Hummer schlüpfen aus einem winzigen Ei und treiben dann für etwa sechs Wochen mit ihren unzähligen Geschwistern als ätherisch-durchsichtige Schwimmlarven für viele Wochen im Plankton des Meeres.
Nach der Metamorphose sind sie dann echte kleine Hummer und beginnen mit dem aufregenden Leben am Meeresboden. Damit es für sie nicht zu aufregend wird, suchen sie sich schnell eine passende Unterkunft – zum Schutz vor Fressfeinden.
Wenn sie selbst reichlich fressen, wird der Panzer bald zu klein: Dann muss der kleine Hummer sich häuten und den zu klein gewordenen Panzer abstreifen. Darunter sitzt schon der neue Panzer: zuerst noch weich härtet er aber schnell aus. In dieser Zwischenzeit ist der Hummer jedoch verwundbar, ihm fehlt die Rüstung. Darum ist ein sicherer Unterschlupf jetzt besonders wichtig.
Hummer-Reservat „Fuselfelsen“ (Helgoland)
Helgoland ist der einzige Ort Deutschlands, an dem es Europäische Hummer gibt, nur hier finden sie Felsen und Höhlen als Krebs-Domizil. Da Europäische Hummer sehr lecker sind und auch zu ordentlichen Portionen heranwachsen, wurden sie früher stark befischt. Dazu lockten die Fischer die gierigen gepanzerten Vielbeiner mit Ködern in die Hummerkörbe, aus denen es dann kein Entkommen mehr gab.
Seit den 60-er Jahren ist klar: Der Hummerbestand schrumpft!
Um den geschrumpften Bestand der schmackhaften Zehnfußkrebse wieder zu vergrößern, baute die Biologische Anstalt Helgoland (BAH) auf dem idyllischen Eiland in der Nordsee im Jahre 2000 eine Hummeraufzuchtstation.
Hummer sind ungesellige Gesellen: Wenn sie außerhalb der Paarung zusammentreffen, frisst der Stärkere oft den Schwächeren. Darum gibt es in der Aufzuchtstation nur Single-Apartments. Jeder Hummer hat seine eigene Hütte. Mit jeder Häutung bekommt er ein größeres Krebs-Apartment aus Kunststoff. Das Projekt der Hummeraufzucht in
menschlicher Obhut wird von den Helgoländer Fischern akzeptiert und unterstützt: Fangen Sie ein trächtiges Weibchen, dass seine Eier noch am Leib trägt, so bringen sie es zu den Wissenschaftlern. Dort erhält Madame Hummer Asyl, bis sie abgelaicht hat.
Damit ihre kostbaren Eier auch befruchtet werden, wohnen in der Aufzuchtstation einige stramme Hummerburschen, die bei Bedarf eine Nacht mit dem Weibchen verbringen.
Ob man ihnen dazu eine Flasche Schampus oder Viagra liquid ins Bassin schüttet ist bisher nicht überliefert, Fakt ist: die Aufzucht klappt gut.
Wenn die kleinen Hummer nach über einem Jahr etwa sechs Zentimeter groß sind, werden sie in der Nordsee „ausgewildert“. Dann müssen sie sich einen Unterschlupf suchen und fressen und wachsen. Und fressen und wachsen. …
Erst mit acht Jahren werden sie fortpflanzungsfähig! Dafür können sie auch 50 Jahre alt werden.
(Ein Besuch von Helgoland und der Hummeraufzuchtstation ist übrigens wirklich empfehlenswert. Wir hatten jedenfalls viel zu gucken. In den Aquarien sitzen neben Hummern auch Seemäuse und anderes Nordsee-Getier und zum Schluss bekamen wir noch ein Quallen-Ballet vorgeführt.)
Knieper essen zum Hummerschutz?
Trotz des guten Bruterfolgs und der Zurückhaltung der Fischerei hat sich der Helgoländer Hummerbestand jedoch bis heute nicht erholt.
Als Gründe nennen die Wissenschaftler der BAH die Meeresverschmutzung und wärmere Wassertemperaturen.
Durch die wärmeren Winter schlüpfen die Hummerlarven inzwischen schon sehr früh im Jahr. „Die Sonne hat zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht genügend Kraft, das Wasser auf die für die Entwicklung der Larven idealen 16 Grad aufzuheizen. „Damit halsen sich die Tiere eine relativ lange Schwimmphase auf.“ Vor allem für Fische sind die Hummerlarven dann ein gefundenes Fressen. „Zusätzlich wird durch niedrige Wassertemperaturen die Häutung verzögert oder ganz verhindert“, sagte Prof. Heinz-Dieter Franke von der BAH in einem Zeitungsinterview.
Manche Wissenschaftler vermuten auch, dass die Taschenkrebse zusätzlich eine Rolle spielen könnten. Auch sie sind kapitale und schwer gepanzerte Krebse mit gewaltigen Scheren. Nach dem Rückgang der Hummer halten sie die besten Wohnhöhlen besetzt. Zusätzlich machen sie Jagd auf kleinere Hummer.
Die Wissenschaftler forschen weiter, um den wertvollen Hummerbestand auf Helgoland nachhaltig zu sichern und wieder zu vermehren.
Vielleicht sollten die Fischer in mehr Taschenkrebse fangen?
Das hätte gleich mehrere Vorteile: Ein toter Taschenkrebs frisst keine Hummer und besetzt keine Wohnhöhle. Und außerdem schmecken auch Taschenkrebse – oder Knieper, wie die Helgoländer sagen – auch sehr lecker.
Hummerasyl im Windpark
Die neueste Idee der Helgoländer Hummerforscher ist ein Hummerwohnprojekt im Offshore-Windpark Riffgat.
Nach einer Meldung des Afred-Wegener-Instituts für Polar-und Meeresforschung (AWI), dem die BAH heute angegliedert ist, fördert das Land Niedersachsen mit knapp 700.000 Euro ein Pilotprojekt zur Ansiedlung des Europäischen Hummers im Windpark „Riffgat“.
Die BAH-Arbeitsgruppe um Prof. Franke und Dr. Isabel Schmalenbach beginnt nun mit der Aufzucht von 3.000 Hummern, die sie im Jahr 2014im Windpark auswildern werden. Die Hummer sollen sich Apartments in den Steinfeldern suchen, die als Kolkschutz zwischen den einzelnen Windkraftanlagen liegen.
Kolke sind Aus- und Unterspülungen an den Tragstrukturen der Windanlagen. Sie entstehen durch die Interaktion von Wellenbewegungen, Meeresboden und Tragstrukturen und den daraus resultierenden spezifischen Strömungen.
„Die in großer Zahl in den nächsten 15 Jahren in der Deutschen Bucht entstehenden Windparks stellen zwar einerseits einen Eingriff in das Ökosystem dar, könnten aber auch mit Maßnahmen zu einer ökologischen Aufwertung verbunden werden“, sagt Prof. Dr. Heinz-Dieter Franke, AWI-Biologe auf Helgoland. Die Sperrung der Windparks für die industrielle Fischerei Fischen und der wirbellosen Bodenfauna einen dringend benötigten Schutz- und Erholungsraum. Zudem könnten in ihrem Bestand bedrohte Bewohner von Hartböden zusätzlichen Lebensraum erhalten, so Prof. Franke.
Ich persönlich stimme da voll und ganz zu. Wir haben Vergleiche im terrestrischen Bereich, etwa die unglaubliche Biodiversität auf Truppenübungsplätzen, in Industriebrachen oder anderen „unnatürlichen“ Orten, die deutlich zeigen: Beton und Lärm stört die Fauna eher wenig. Wichtig ist der Schutz vor Menschen.
Darum betrachten viele Biologen die Windparks als eine echte Chance, Schutzgebiete für Meeresbewohner durchzusetzen.
Wale, Fische und Wirbellose wären hier vor Fischerei und Schifffahrt optimal geschützt. Nur die nachts ziehenden Zugvögel sind die Verlierer…sie fliegen blind in die Rotoren. Hoffentlich gibt es irgendwann auch dafür Lösungen.
Bettina Wurche
Quellen:
AWI: “Windparks auf See als neue Hummerheimat?“
http://www.awi.de/de/news/press_releases/detail/item/offshore_windfarms_a_new_home_for_lobsters/?cHash=bc0602b3fb81cfc20b08fce9d70da739
http://www.lsfv-sh.de/component/content/article/63/461-existenz-der-helgolaender-hummer-ist-bedroht